TAG DER DEUTSCHEN ZWEIHEIT
Deutschland feiert seinen Tag der deutschen Einheit. Doch ist das Land tatsächlich geeint? Eine tiefe Spaltung ist bereits während der Corona-Zeit durchs Land gegangen und der Riss wird immer tiefer.
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Während Politiker fröhlich den 32. Jahrestag in Erfurt begehen, steht Deutschland vor einem der tiefsten Risse seiner Geschichte. Der Impfstatus und die Skepsis gegenüber Regierungsaktionen spalteten ein Land, das vor genau 32 Jahren eine Einigkeit feierte, die selbst Hartgesottenen Tränen in die Augen trieb. Was ist geschehen?
Feierlichkeiten in Thüringen trotz und mit Ukraine-Krise
Der Tag der Deutschen Einheit ist am 1. Oktober unter grauem Himmel und bei Wind und Regen in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt gestartet. Unter dem Motto “Zusammen wachsen” stellen sich die einzelnen Bundesländer wie auch Bundesrat, Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Bürgerfests in der Erfurter Innenstadt vor. Doch scheinbar interessieren sich nur wenige Bürger für dieses Thema. Während die Stadt mit bis zu 120.000 Besucherinnen und Besuchern täglich rechnet, haben sich nur einige Tausend blicken lassen. Kein Grund für namhafte Politiker, sich nicht blicken zu lassen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sind vor Ort und beglückwünschen sich gegenseitig für die wunderbare Arbeit in den vergangenen 32 Jahren. Zum Tag der Deutschen Einheit wolle man aber nicht nur feiern, sondern auch “auf die Sorgen aufmerksam machen”, sagte Thüringens Ministerpräsident Ramelow. Hauptsorge ist dabei nicht die zunehmende Armut der deutschen Bevölkerung, sondern die Krise in der Ukraine “Wir wollen die solidarische Brücke bauen in die Ukraine. Deswegen ist es ja auch so gut, dass das Symphonieorchester aus der Ukraine hier ist.” (dpa-meldung vom 01.10.2022, 16:12 Uhr) Sehr bedenklich ist hier, dass sich ein Politiker wie Ramelow zur Einigkeit, Einheit und Solidarität äußert, der vor nicht einmal einem Jahr ungeimpften Menschen eine Behandlung verweigern wollte.
Demonstrationen 1989 versus 2021
Dem Mauerfall am 9. November sind zahlreiche Demonstrationen der DDR-Bürger vorausgegangen – da sind sich die Geschichtsschreiber der digitalen “Enzyklopädie” Wikipedia und die Frankfurter Allgemeine Zeitung einig: “Nach internationalen Bemühungen und der friedlichen Revolution in der DDR fiel die Mauer am 9. November 1989. Der Vertrag zur deutschen Wiedervereinigung trat ein knappes Jahr später, am 29. September 1990, in Kraft. Darin wurde der 3. Oktober zum Tag der Deutschen Einheit und damit zum staatlichen Feiertag erklärt.” Es wird viel von der “friedlichen Revolution” gesprochen, von Demonstrationen und Montagsspaziergängen, von denen ehemalige DDR-Bürger erzählen. Doch eine andere Version dieser friedlichen Demonstrationen findet man in den Zeitungen der ehemaligen Deutschen Demokratische Republik. “Staatsfeindlichkeit nicht länger dulden“, heißt es in der Leipziger Volkszeitung. Es wird von “konterrevolutionären Aktionen” gesprochen, die brave Bürger verängstigen und verstören. “Auch wenn BRD-Zeitungen in Nachrichten und Berichten über Vorkommnisse am Montagabend im Leipziger Stadtzentrum so tun, als habe die Stadt kopfgestanden, bleiben die Tatsachen (...) Rund 550.000 Leipziger und Gäste taten das, was man an einem ganz normalen, friedlichen Messe-Montagabend in Leipzig eben so tut. Ein paar hundert allerdings wollten Unfrieden stiften.” Dieser Artikel ist vom 8. September 1989 und jeder weiß, dass im September bereits Hunderttausende Menschen friedlich auf den Straßen demonstrierten. Die DDR schätze diese Demonstrationen nicht als “friedlich” ein und stellte “Kamptruppen” auf, die gegen “antisozialistische Ausschreitungen” und zur “Auflösung von Zusammenrottungen” zum Einsatz gebracht wurden.
Was ist nun der Unterschied zwischen 1989 und 2022? Der Grund einer Demonstration ist immer der Gleiche: Menschen demonstrieren, weil sie unzufrieden sind. Auch die Verzerrung der Realität bleibt: Die Regierung und die Polizei sagt eine Sache, die Realität ist eine. Es gibt somit – wie immer im Leben – zwei Sichtweisen einer Situation.
Integration und Desintegration
Die zentrale Feier zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit fand 2010 in Bremen statt. Unvergessen dabei die Rede des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, Thema Integration: „Zuallererst brauchen wir aber eine klare Haltung. Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist. Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Was ist seither passiert? Während sich viele Einwanderer scheinbar erfolgreich integrieren konnten, herrscht eine zunehmende Desintegration der Deutschen selbst. Unter Desintegration versteht man die Auflösung eines sozialen Zusammenhalts innerhalb einer Gruppe. Angeheizt von der Corona-Debatte um Geimpfte und Ungeimpfte, um Linientreue und Kritiker, vorangetrieben von der Regierung, ist ein tiefer Riss in unserer Gesellschaft entstanden. Menschen, die sich aus irgendeinem Grund nicht impfen lassen wollten, wurden beschimpft als “asozial” und “egoistisch”. Der Hass und die Hetze auf Ungeimpfte war groß. Man wollte ihnen Essen, Krankenhausbehandlungen und Reisen verweigern, viele wurden an Weihnachten und auf Geburtstagsfeiern ausgeladen, Familien haben sich zerstritten, Eheleute getrennt. Menschen, die auf den Straßen demonstrieren gegangen sind, wurden wie Verbrecher behandelt, Kritiker wurden verfolgt. Die Deutsche Welle berichtet von Hausdruchsuchungen bei Kritikern der Corona-Maßnahmen der Regierung, auf Twitter machen sich einige Menschen Sorgen über das totalitäre Verhalten in Deutschland.
Diese tiefe Spaltung betrifft nicht Juden, Muslime oder Andersgläubige in Deutschland, sie betrifft die Deutschen, die nicht mehr geeint sind.
Ich frage mich also, sind wir Deutschen tatsächlich bereit, die Einigkeit zu feiern? Und wenn zwei sich streiten, freut sich da nicht bekannterweise der Dritte? Doch wer freut sich, dass Deutschland nicht mehr einig ist? Wer profitiert von der Zweiheit Deutschlands?
GERMAN UNITY DAY?
Germany is celebrating its “Day of German Unity”. But is the country really united? A deep division has already gone through the country during the Corona period and the rift is getting deeper.
As politicians gleefully mark the 32nd anniversary in Erfurt, Germany faces one of the deepest rifts in its history. Exactly two years ago, vaccination status and skepticism about government action divided a country that, exactly 32 years ago, celebrated a unity that brought tears to the eyes of even the most hardened. What happened?
Celebrations in Thuringia despite and with Ukraine crisis
German Unity Day kicked off on Oct. 1 under gray skies and wind and rain in Thuringia's state capital, Erfurt. Under the motto "Growing together", the individual federal states as well as the Bundesrat, Bundestag, Federal Government and Federal Constitutional Court presented themselves as part of the citizens' festival in downtown Erfurt. But apparently only a few citizens are interested in this topic. While the city expects up to 120,000 visitors a day, only a few thousand showed up. No reason for well-known politicians not to show up. Federal President Frank-Walter Steinmeier, Chancellor Olaf Scholz and Bundestag President Bärbel Bas are on hand to congratulate each other for the wonderful work done over the past 32 years. On the occasion of the Day of German Unity, however, the aim is not only to celebrate, but also to "draw attention to the concerns," said Thuringia's Prime Minister Ramelow. The main concern is not the increasing poverty of the German population, but the crisis in Ukraine "We want to build the solidarity bridge to Ukraine. That's why it's so good that the symphony orchestra from Ukraine is here." It is very alarming here that a politician speaks out on unity, unity and solidarity, who not even a year ago wanted to refuse treatment to unvaccinated people.
Demonstrations 1989 versus 2021
The fall of the Wall on November 9 was preceded by numerous demonstrations by GDR citizens - the historians of the digital "encyclopedia" Wikipedia and the Frankfurter Allgemeine Zeitung agree: "After international efforts and the peaceful revolution in the GDR, the Wall fell on November 9, 1989. The Treaty on German Reunification came into force less than a year later, on September 29, 1990. In it, October 3 was declared German Unity Day and thus a national holiday." There is much talk of the "peaceful revolution," of demonstrations and Monday walks that former GDR citizens recount. But a different version of these peaceful demonstrations can be found in the newspapers of the former German Democratic Republic. "No longer tolerate hostility to the state," reads the Leipziger Volkszeitung. There is talk of "counter-revolutionary actions" that frighten and disturb well-behaved citizens. "Even if FRG newspapers in news and reports about incidents on Monday evening in the center of Leipzig pretend that the city stood on its head, the facts remain (...) About 550,000 Leipzigers and guests did what one does on a completely normal, peaceful fair Monday evening in Leipzig. A few hundred, however, wanted to stir up trouble." This article is from September 8, 1989, and everyone knows that hundreds of thousands of people were already peacefully demonstrating in the streets in September. Well, the reason remains: People demonstrate because they are dissatisfied. The distortion of reality also remains: The government and the police say one thing, reality is another. Thus, as always in life, there are two views of a situation.
Integration and Disintegration
The central celebration of the 20th anniversary of German unity took place in Bremen in 2010. Unforgotten was the speech by then Federal President Christian Wulff on the subject of integration: "First and foremost, however, we need a clear attitude. An understanding of Germany that does not limit belonging to a passport, a family history or a faith, but is more broadly based. Christianity undoubtedly belongs to Germany. Judaism undoubtedly belongs to Germany. That is our Christian-Jewish history. But Islam now also belongs to Germany." What has happened since then? While many immigrants seem to have successfully integrated, there is an increasing disintegration of Germans themselves. Disintegration is the dissolution of a social cohesion within a group. Fueled by the Corona debate about the vaccinated and the unvaccinated, about line loyalists and critics, pushed by the government, a deep rift has emerged in our society. People who chose not to be vaccinated for any reason were labeled as "anti-social" and "selfish." Hatred for the unvaccinated was rampant. People wanted to deny them food, hospital treatment and travel, many were disinvited to Christmas and birthday parties, families fell out, spouses separated. People who went out to demonstrate in the streets were treated like criminals, critics were persecuted. Deutsche Welle reports police raids of critics of the government's Corona measures, on Twitter some people are worried about totalitarian behavior in Germany
This deep division does not concern Jews, Muslims or people of other faiths in Germany, it concerns Germans who are no longer united.
So I wonder, are we Germans actually ready to celebrate unity? And when two quarrel, isn't it well known that the third rejoices? But who rejoices that Germany is no longer united? Who benefits from Germany's duality?
Mal wieder richtig auf den Punkt. Sehr gut auch die offene Frage am Ende, weil sich hierüber trefflich streiten lässt. Es ist menschlich nach Mustern und Verursachern zu suchen, schnell sind da simple Feindbilder im Visier. Aber die korrekte Antwort, wenn es die überhaupt geben kann, ist nach meiner Einschätzung hoch komplex. Ich glaube es gibt da Dynamiken, wo man nicht umhin kommt, selbst die Chaos-Theorie bemühen zu müssen.
Super Artikel! Die Antwort auf die letzte Frage ist immer die selbe: folge dem Geld...